
In dieser Folge dreht sich alles um Leo Aschers Operettenerstling Vergeltsgott (auch unter dem Titel Der Bettelgraf bekannt), uraufgeführt 1905 im Theater an der Wien. Die tragikomische Geschichte des verarmten Adligen Graf Bogumil Karinsky, der in New York zum tagsüber mondänen Gentleman und nachts erfolgreichen Bettler wird, bietet nicht nur Operettensatire mit Gesellschaftskritik, sondern auch eine ungewöhnlich moderne Perspektive auf Identität, Doppelleben und soziale Masken.
Im Mittelpunkt steht eine Mischung aus Wiener Charme, amerikanischem Setting und persönlichem Drama. Durch Zufall und Täuschung gelingt es Bogumil, sich ein neues Leben aufzubauen – bis ihn die Vergangenheit wieder einholt. Besonders bemerkenswert: Der Graf ist keine klassische Tenorrolle, sondern wurde für den Schauspieler Louis Treumann geschrieben, dem ersten „Danilo“ in der lustigen Witwe, der eher ein spielfreudiger Kavaliersbariton war.
Wir berichten über die Karriere des jungen Komponisten Leo Ascher, der mit nur 25 Jahren ein erstaunlich reifes Werk vorlegte. Auch die inhaltliche Nähe des Bettelgrafen zur Lustigen Witwe (Premiere nur 10 Wochen später) ist kein Zufall – Librettist Victor Leon schrieb beide Stücke, und mit Mizzi Günther spielte sogar dieselbe Soubrette mit. Dass Vergeltsgott rasch vom Erfolg der Witwe verdrängt wurde, sagt wenig über seine Qualität aus: Viele Zeitungen lobten Schauplatz, Handlung und Musik als „ungewöhnlich frisch“ und „zeitgemäß“.
Auch das tragische Schicksal Leo Aschers wird thematisiert: Der jüdische Komponist wurde später von den Nazis verfolgt und emigrierte - wie sein Held Karinsky - in die USA, wo er 1942 verarmt verstarb.